Nico Jühe: Stichwort ideologische Definitionshoheit

Wir veröffentlichen nachstehend einen Kommentar von Nico Jühe zur ideologischen Definitionshoheit:

Wir werden erst wieder eine erfolgreiche revolutionäre Bewegung in Deutschland aufbauen können, wenn wir anerkennen, dass der Klassenfeind uns derzeit ideologisch haushoch überlegen ist.
Mit „ideologisch“ meine ich hier nicht nur das, was man gemeinhin „bürgerliche Ideologie“ nennt, sondern alle Methoden psychologischer, manipulativer und realer Herrschaftsausübung.
Ich möchte kurz an mehreren Punkten verdeutlichen, worin für mich diese Überlegenheit besteht:

1. Diskurs und Debatte
Ab den 30er Jahren etwa sprießen Sozialwissenschaften und Psychologie an den Universitäten, ihre Forschungsergebnisse flossen nicht nur in Werbung und Marketing, sondern auch in Think Tanks für die gezielte Massenmanipulation. Alles was wir an Nachrichten in Medien & Fernsehen wahrnehmen, ist anhand der Erkenntnis psychologischer Manipulationstechniken erstellt, dazu gehören auch, wie berichtet wird, was berichtet wird, und in welchem Umfang es berichtet wird. Selbst die Reaktionen auf solche „News“, seien es Bejahung und Verneinung, sind einkalkuliert und werden so bewusst als „Debatte“ gesteuert. Ich meine mit bewusst nicht, dass es Menschen/Institutionen gibt, die das genau so steuern, sondern dass es durch lange Zeit der Gewöhnung so entstanden ist. Dazu gehört auch das Spektrum, wie öffentliche Debatten durch Medien geführt werden: Die Positionen sind heruntergebrochen immer übersehbar, sie werden jedoch in einer Variationsbreite vorgetragen, dass man glaubte, es würde sich ein breites Meinungsspektrum äußern. Ein entscheidender Punkt scheint mir dabei, dass nicht nur die Themen von der medialen Öffentlichkeit vorgegeben werden, sondern wie lange, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen sie diskutiert werden sollen.

2. Die Kunst der Falschwörter
Eine wichtige Komponente der Manipulation ist das Einstreuen von Falschwörtern, vor denen wir auch nie sicher sind. Das fängt bei „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ an, von der Unterscheidung von Demokratie, Königshaus und Regime, bis über Umdeutungen, Zuschreibungen und Neudefinitionen im Sprachgebrauch. So wird aus dem „arabischen Frühling“ eine Revolution, aus Terroristen Freiheitskämpfer, und wenn es uns betrifft, sind es Terroranschläge, kamen die Täter von uns, sind es Einzeltäter. Aus Hatz IV Empfängern werden Schmarotzer, und wenn sie aufgrund dieser asozialen Situation, ganz menschlich natürlich, diese Verhältnisse nicht mehr aushalten, werden ihre Depressionen als Krankheit deklariert, etwas, was über sie kam und nicht was durch diese Verhältnisse entstand. Es gibt so viele Arten dieser Falschwörter-, Definitionen, und Zuschreibungen das keiner von uns davor geschützt ist, sie selbst zu benutzen.

3. Die Macht der Bilder
In diese Art der Manipulationen sind insbesondere Bilder ein ungeheures Machtinstrument. Wir haben das im „syrischen Bürgerkrieg“ gesehen, der auch hier, kein Bürgerkrieg war, sondern ein von außen intendierter Regime-Change, wo Bilder von leidenden Kindern ganz gezielt dafür benutzt wurden, um bestimmte Gefühle zu erzeugen. Die Reaktionen sind ganz bewusst einkalkuliert und sollen genau die Reaktionen bezwecken, die sie erreichen. Das gilt nicht nur für Bilder in diesem Sinne, sondern auch für Schlagzeilen, die ähnlich wie Bilder funktionieren. Es sollen bestimmte Gefühle erzeugt werden. Sind die Gefühle erst einmal vorbereitet, lassen sie sich, wie in 1. ausgeführt, in eine Debatte umwandeln, die ganz klar die „Stimmung“ eines Landes in eine gewisse Richtung lenken sollen.

4. Die Lokalität der Dinge
Ein weiterer wichtiger Punkt ist unser Bedürfnis nach Lokalisierbarkeit von Verhältnissen, Dingen, Strukturen. Wir sind, das hat die Kognitions- und Wahrnehmungsforschung ausgiebig empirisch erforscht, Konkretisten in Bezug auf das Lokalisieren von Ursache- und Wirkungsverhältnissen. Das heißt wir brauchen, quasi wie die Luft zum atmen, in unserer Lebenswelt stabile Lokalitäten. Wir müssen wissen, wo wir verortet sind, was wir tun, wir brauchen einen Schuldigen, wenn etwas nicht so läuft, wie es soll, wir brauchen Lokalitäten wenn wir unsere Umgebung wahrnehmen, das gilt nicht für die Einschätzung unserer Lebensumwelt, die bedrohlich oder sicher sein kann, sondern es trifft auch auf Menschen zu. Wir haben bspw. durch unseren Kognitionsapparat ganz natürlich vorgegeben, dass wir Vorurteile gegenüber anderen Menschen haben. Das ist nichts Verwerfliches, sondern wir brauchen für eine stabile Orientierung unseres Mensch-Seins natürliche Lokalitäten, d.h. Einschätzung im Verhältnis des Anderen oder etwas Anderem zu uns. Dieser natürliche Mechanismus unserer Kognition kann genutzt werden, um Bilder in uns zu erzeugen, wenn wir etwas Bestimmtes sehen, uns wird quasi ein Vor-Vorurteil suggestiv vermittelt. Keiner von uns ist davon befreit. Wir kategorisieren Menschen, wie andere Gegenstände (im psychologischen & philosophischen Sinne) ganz natürlich durch unsere gemachten Erfahrungen ein. Das ist ein unterbewusster Prozess (wie so vieles hier Beschriebene), diese Erfahrungen können jedoch so manipuliert werden (durch Medien usw.), dass wir eine bestimmte Kategorisierung vornehmen, ohne zu wissen, dass sie so gewollt ist.

5. Die „Zentren der Macht“
Um auf 4. aufzubauen, ist der Diskurs über die Gesellschaft ebenso an unser Bedürfnis nach Lokalität geknüpft. Wir haben das natürliche Bedürfnis, positiv und negativ Empfundenes, was wir in unserer Lebenswelt wahrnehmen, auf Personen zurückzuführen bzw., um es präziser zu formulieren, in einen für uns überschaubaren Rahmen an Ursachen. Das ist auch ebenfalls psychologisch sehr gut untersucht, und ist ebenfalls integrativer Bestandteil von Manipulation. So werden bestimmte Ereignisse, Vorgänge usw. auf Einzelpersonen gelenkt (positiv wie negativ), so dass unser Bedürfnis nach Lokalisierbarkeit erfüllt ist. So lässt sich insbesondere Wut und Zorn entscheidend auf Flüchtlinge, einzelne Politiker, einzelne Länder usw. steuern. Ein beliebtes Mittel ist dabei auch „Teile und Herrsche-Prinzip“: Es werden Lokalitäten durch Manipulation erzeugt, um dann im zweiten Schritt diese Lokalitäten der anderen Gruppe als bedrohlich zu suggerieren. Sei es nun das Verhalten von Muslimen mit Bart usw.
Entscheidend bei allem ist dabei das Ziel, dass die „Zentren der Macht“, d.h. die Eigentümer der Produktionsmittel und ihrer riesigen Vernetzungen in Medien, Industrie, Finanzwesen usw. unsichtbar bleiben.

6. Unsere „Status quo“-Neigung
Ein entscheidender und wichtiger Mechanismus der Manipulation ist das Auslösen von Gefühlen, die uns handlungsunfähig machen. Diese Gefühle werfen uns auf unseren Status quo zurück. Das Status quo Gefühl ist eine Art Basis unserer eigenen empfundenen Daseinsweise als Mensch, wir suchen, weil es in uns positive Gefühle erzeugt, eine Stabilität in unseren Lebensverhältnissen. Das können Freunde, Freizeitaktivitäten, Arbeitssituationen usw. sein. Entscheidend ist, dass uns Regelmäßigkeit, oder besser, Identifizierbarkeit in uns positive Gefühle auslösen. Eine weitere wichtige Eigenschaft des Status quo dass wir dazu neigen, in diesem zu verharren, d.h. wir riskieren diese positiven Gefühle ungern. Wenn wir es tun, so versuchen wir das Neue, was wir erfahren wollen, in diese Art Stabilität, die wir benötigen, allmählich zu integrieren, bis sie für uns ein sicheres Neues ausmachen. Dieser Prozess kann auch umgekehrt werden, indem man durch das Auslösen von Angst oder Wut uns instinktiv auf unseren Status quo zurückdrängt: Unter Einfluss von Angst sind wir wie gelähmt, und suchen Stabilität in dem, was uns vertraut ist, was uns das Gefühl von Sicherheit gibt. Man muss die Menschen, wenn man sie handlungsunfähig machen will, in ihnen bspw. Angstgefühle erzeugen. Die Angst, bei Israelkritik als „Antisemit“ bezeichnet zu werden, die Angst vor Reputationsverlust, Verlust von Freunden usw. sind fundamentale Strategien der Massenmanipulation. So können auch Bewegungen sehr schnell zersetzt werden.

Es gibt noch viele Punkte, die man anfügen könnte, aber ich möchte es erst einmal dabei belassen.
Entscheidend scheint mir, dass in der Klassenauseinandersetzung uns der Klassengegner durch seinen Vorsprung in diesen Dingen uns meilenweit voraus ist, und wir möglicherweise gar nicht bemerken, dass der Diskurs, den wir untereinander führen, unsere Analysen, unsere Agitationen usw. nicht unbeeinflusst von Manipulationen sind. Wenn wir nicht anerkennen, dass wir diese elementaren Techniken studieren und verstehen müssen, wenn wir nicht anerkennen, dass womöglich unser Diskurs ebenfalls vergiftet sein könnte, und dass keine „reine Lehre“ uns davor schützen wird, dann, so denke ich, haben wir keine Chance auf wirkliche Veränderungen.

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